Vera

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Vera ist 71, es geht ihr gut. Sie arbeitete neununddreißigeineinhalb Jahre lang in einer Familienbuchhandlung in Wiens 9. Bezirk – Mann, Frau, Tochter und sie. Dort war auch die letzte private Leihbibliothek der Stadt untergebracht, die Leute konnten sich Bücher ausborgen, „aber das hat uns viel Zeit, Geld und Platz gekostet, wenn die Leute dann immer ihre halbe Lebensgeschichte erzählt und nur die Lehngebühr entrichtet haben.“ Solche Bibliotheken gab es früher sehr viele in Wien, „der König auf der Josefstädterstraße zum Beispiel hatte eine sehr große.“

Sie hat schon als Kind in der Gemeindebücherei viel gelesen, „aber da haben sie mir Bücher gegeben, die konnte ich nicht lesen, das waren Kinderbücher.“ Sie hat aber immer schon Bücher gelesen, „die hat meine Mama gelesen“, also Erwachsenenbücher.  Die Mama ist jetzt 91 und wird von Vera gepflegt, die Ärzte diagnostizierten „geistigen Verfall bei ihr, aber nach sechs Wochen daheim bei mir war sie wieder in Ordnung. Sie schläft halt viel.“ Die Mama wollte auch, dass Vera bei der Gemeinde arbeitet, „aber das wollte ich nicht. Heute wäre es natürlich gut“, lacht sie, weil das eine viel höhere Pension bedeuten würde. Mit ihrer jetzigen kommt sie so recht und schlecht über die Runden, als Buchhändlerin verdiente man nicht sehr viel.

Vera liest immer von 22.30 Uhr an bis 12, halb eins in der Früh, und zwar im Bett, im Liegen. Nur selten schläft sie dabei ein, dann wacht sie auf, wenn das Buch hinunter fällt. Sie liest alle Bücher zu Ende, weil sie ja vorher weiß, dass sie gut sein werden: „Als Buchhändlerin hat man irgendwie ein Gefühl, man nimmt das Buch in die Hand …. Im Antiquariat zum Beispiel, da liegen die Bücher am Tisch, die schau ich mir dann an, die springen mich an….“ Im Antiquariat kauft sie auch immer die neuesten Bücher schon zum reduzierten Preis, wer die dort immer gleich hin bringt, weiß sie nicht.

Vera ist auch viel gereist in ihrem Leben, vor allem nach Schweden und Griechenland, und eigentlich am liebsten alleine. „Wenn eine Freundin mit war, das war immer furchtbar. Die eine ist dort angekommen, und anstatt, dass sie am Strand gegangen ist, hat sie sich die Haare eingedreht und hat gesagt, es ist ihr viel zu heiß.“

Mit ihrer besten Freundin geht sie gerne ins Café im Hotel Imperial, „das ist schon teuer, ja.“ Aber zu ihrem Geburtstag hat sie einen 50 Euro-Imperial-Gutschein geschenkt bekommen, den haben sie genußvoll konsumiert. Dort sieht sie auch immer „die ganzen Dirigenten, die danach in den Musikverein gehen“. Sie selbst geht dann meistens mit ihrer Freundin an die Bar hinüber, „dann tratschen wir stundenlang, obwohl wir uns eh dauernd sehen.“

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