Mejra ist 64, es geht ihr gut. Sie ist in Bosnien geboren und hat dort Herrenmaßschneiderei gelernt bei Mustafa Kismic, „er war der beste, ein superguter Schneider“ aus einer alten Schneiderdynastie. Heute macht sie keine Maßanzüge mehr, „weil ich habe das verlernt“. Meine Anzughosen, die ich ihr immer bringe, müssen genau 107 cm lang sein.
1974 kam sie für zwei Wochen Urlaub nach Wien, wo sie ihren Bruder besuchen wollte, und blieb. Sie fand Arbeit bei einer Wasch- und Reinigungsfirma im 14. Bezirk, aber „das war Scheiße, alle haben gesagt: ‚Du scheiß Tschutsch! Scheiß Jugos! Geht ihr heim!’, haben geschrien wie am Spieß. Hab ich mir gedacht: Na geh, ihr könnt’s mich gern haben.“
Seit 30 Jahren hat sie nun ihre Änderungsschneiderei drüben auf der Märzstraße, ihr gefällt es hier sehr gut, sie kennt beinahe alle im Bezirk. Gibt es schwierige Kunden? „Na, sind alle harmlos. Es kommt halt immer darauf an, wie du selber bist. Kunden, die schwierig sind, bleiben sowieso nicht, die gehen einfach wieder.“ Die Leute bringen ihr meistens Lieblingsstücke, von denen sie sich nicht trennen wollen, die schon halb zerfallen, die sie retten muss. Geld spielt dabei keine Rolle, das machen auch reiche Kunden.
Am Anfang, vor 25 Jahren, kam immer ein Dr. Jauker, der hat ihr sehr geholfen. „Er hat gesehen, dass ich keine Arbeit habe, dass keine Kunden kommen. Da ist er jeden Tag gekommen und hat eine Hose gebracht: ‚Machen wir kürzer!’ Nächsten Tag ist er wieder gekommen: ‚Ist ein bisserl zu kurz!’ Nächsten Tag wieder: ‚Doch ein bisserl länger!’ Er war ein kleiner Pfarrer von oben in der Pouthongasse, so einen Bauch hat er gehabt. Er war 86 Jahre alt und wollte mir helfen, aber das Geld nicht schenken: ‚Hier hast du 4000 Schilling, weil die Löcher sind schwer zu machen.’ Irgendwann hat er dann einen Herzinfarkt gehabt und ist gestorben, er war mein Schutzengel.“
Bevor ich gehe, sagt Mejra noch, dass sie eine Frau für mich hat, „ist sie 45 und Ärztin, keine Kinder, aber ein Hund.“ Frage ich sie, ob sie gut ausschaut. Sagt sie: „Das hat sie mich auch gefragt, ob du gut ausschaust.“ Und was hat sie der Ärztin gesagt? „Habe ich gesagt: Was ist Schönheit? Schönheit ist nicht wichtig.“
Hm, was für ein Kompliment….
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