Enes

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Enes ist seit einer Woche 30, es geht ihm sehr gut. Vor 29 Jahren, als in Bosnien Krieg herrschte, flüchtete er mit seinen Eltern Mirzet und Mika aus Tuzla nach Österreich. Meine Eltern nahmen sie auf, weitere Flüchtlinge kamen dazu, irgendwann lebten zehn Leute in unserem Haus. Emina, die Schwester von Enes, kam in dieser Zeit auf die Welt. Mirzet holte sie und seine Frau aus dem Krankenhaus ab, und meine Mutter sollte sie in die kleine Wiege legen, das ist der bosnische Brauch. Seither gehören sie zur Familie, sein Vater Mirzet ist mein Bruder, und Enes begrüßt mich mit „Hey, Bruder!“ Heute haben wir uns wieder einmal gesehen, dabei erinnerten wir uns:

Einmal saß Enes, das Baby, auf meinem Knie, ich wippte es auf und ab und merkte nicht, dass er ein Zuckerl verschluckte. Mika, gelernte Krankenschwester, riß ihn an sich, drehte ihn auf den Kopf und schlug ihm hart gegen den Rücken – er spuckte aus. Ein anderes Mal fiel er in unsere Regentonne und ertrank beinahe, als wir gemütlich am Grillen waren.

Enes überlebte auch das und wurde ein wilder Hund. Er liebte schnelle Autos, wenn er zwischen Wels, Linz und Steyr herumfuhr. Sein „Traumauto“ wäre noch immer ein Nissan GTR, der 360 bis 400 PS hat und über 300 km/h auf die Straße bringen würde. Aber um so einen richtig auszufahren, müsste er hinaus nach Deutschland, wo es kein Tempolimit gibt, und das schnellste Rennauto ist am Ende sowieso die Kindheit. Heute ist „der Kleine“ 1,93 Meter groß und seit drei Jahren glücklich verheiratet. Seine Frau heißt Emina, wie seine Schwester, die in unserem Haus in der Wiege lag.

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