Talking about JEAN-LUC GODARD – Der permanente Revolutionär von Bert Rebhandl

Talking about JEAN-LUC GODARD – Der permanente Revolutionär von Bert Rebhandl
Matthias ist 42, dem Schauspieler geht es gut. „Es gibt seit zehn Jahren ungefähr ur viele Windhunde in Wien“, sagt er, als ich ihn nach seinem frage.
Er selbst hat seine Pina vor elf Jahren aus einem Tierheim in Zwettl geholt, „als ich noch in Riegersburg gewohnt habe. Da stand sie heraußen mit diesem Typen, der sie hergezeigt hat, und hat geschlottert vor Kälte. In meinen Augen hat sie dabei getanzt wie eine Ballerina, darum nannte ich sie Pina nach der Tänzerin Pina Pausch.“ Es ging ihr relativ gut in Zwettl, relativ zu Spanien, woher sie kam: „Die Hunde dort werden oft einfach am Baum aufgehängt, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.“
Seine rüstige „Pensionistin“ läuft natürlich immer noch gerne: „Im Auer-Welsbach-Park die kurzen Strecken, richtig laufen kann sie in Neuwaldegg draußen im Schwarzenbergpark. Ich glaub, so einen Achtziger hat sie früher zusammengekriegt. Ob jetzt noch? Ich weiß es nicht“, lacht er. Irgendwelche Besonderheiten? „Sie mag keine schwarzen Hunde!“ In seinem Bett darf sie natürlich nicht schlafen. „Um Gottes willen! Ich trag viel Schwarz, dann hätt ich überall ihre weißen Haare. Der Kofferraum schaut aus, das glaubst du nicht!“
Einmal spielte er mit Otto Schenk in Schnitzlers Liebelei. „Der hat Geschichten erzählen können, unglaublich! Da musste ich zum Beispiel der Mizi überbringen, dass ihr Liebhaber sich umgebracht hat. Die Mizi fragt, ob es wegen der anderen war. In der Probe hab ich immer relativ straight Nein gesagt. Der Otti aber hat gemeint: ‚Du, das musst du so spielen, pass auf: Bevor du antwortest, tust du so, als würdest du einen Schas rausdrücken. Und erst im Moment der darauffolgenden Entspannung sagst du Nein.“
Edith ist 76, es geht ihr gut. Sie kommt gerade zum Rabenhof-Theater, um Andreas Vitásek in Der Herr Karl zu sehen, weil sie bereits Helmut Qualtinger als Herrn Karl live gesehen hat: „I glaub’, des war im Theater an der Wien. Oder in einem Keller? Ah, genau! Das war im Kleinen Theater im Konzerthaus!“ Und es muss so ab 1961 gewesen sein, dem Jahr der ORF-Premiere des umstrittenen Mitteldings aus Kabarett und Theaterstück.
„Ich war viel im Theater, sehr viel, alleine oder mit der Großmutter, der Oskar Werner war mein Liebling! Ich wollte immer Schauspielerin werden. Das ist mir leider nicht gelungen, weil weißt eh, ich hab geheiratet und zwei Kinder gekriegt, so bin ich halt Friseurin geworden. Schauspielerin war kein Beruf. Du hast müssen werden Friseurin oder Verkäuferin.“
Aber: „Mein Großvater war böhmischer Herrenschneider, der hat so eine Schneidertafel gehabt, weißt eh, wo darauf zugeschnitten worden ist, und da hab ich darauf gesteppt und getanzt. Und meine Großmutter hat immer gesagt: Geh zum Rosenhügel, die nehmen dich!“, lacht sie. „Aber ich war zu feig. Wenn ich hingegangen wäre, hätten sie mich eh genommen.“ Kabarett und „so lustige Sachen hätte ich gerne spielen wollen, weil dass du lachen kannst, das ist das Wichtigste. Oder Stücke, die unter die Haut gegangen sind.“
„Der Peymann war dann zunächst nicht so meines. Aber dann hab ich gesehen, dass er eh recht gehabt hat mit allem, was er gespielt hat, dass der eh nur die Wahrheit gesagt hat über das, was der Österreicher ist.“ Insofern sei der „Herr Karl“ natürlich aktueller denn je, „wie der das alles lobt, und wie er nirgends dabei war, aber profitiert hat. Ein feiger Hund.“
Ebubekir ist 24, er ist in der Wiener Leopoldstadt drüben geboren und aufgewachsen.
Von seinem Papa, der am Alsergrund ein Geschäft hat, lernte er die Handwerke der Schlüsselnachfertigung mittels Kopierfräsmaschine sowie der Schuhreparatur, für die man damals noch einen Gewerbeschein brauchte.
Sein Bruder hilft ihm, wenn er mal rauswill aus dem kleinen Laden in der Lugner City unterste Ebene, gleich neben dem Bankomaten, gegenüber vom Libro. „Meistens brechen die Leute in der Hektik die Schlüssel ab, Kinder verlieren sie“, oder Frauen fänden sie nicht mehr in ihren Handtaschen. Wenn die Leute verbogene Schlüssel zurückbiegen, werden diese weich, dann sollte man dringend einen nachmachen lassen.
Gebrochene Schlüssel können zwar auch rekonstruiert werden, sie kosten halt mehr. Wenn der letzte Schlüssel verlorenging, ist oft große Verzweiflung angesagt, ein Aufsperrdienst kostet schließlich nicht zehn bis 50 Euro, wie ein neuer Schlüssel bei ihm, sondern … eh schon wissen. Einfache Wohnungsschlüssel (z._B. von EVVA) oder Postkastlschlüssel (z._B. von Gege) kann er sofort machen, Sicherheitsschlüssel dauern ein bisserl, patentierte Schlüssel (z. B. Pöllmann Multilock) müssen bei der Herstellerfirma in Auftrag gegeben werden, das dauert bis zu zehn Tage.
Die älteren Balkan-Schlüssel der Firma Erwe (Altbauzimmertüren, WC-auf-dem-Gang-Türen) haben eine Nummer von 1 bis 60, da legt er den Schlüssel auf einen Vorlagenzettel und schaut, welcher passt. Schlüsselkappen wählten die Damen meist in Rot oder Lila, die Herren meist in den Farben Schwarz oder Blau. Den Standort hat er vom Vorgänger übernommen, Richard Lugner sei ein guter Vermieter, aber auch ein guter Auftraggeber.
Anna Maria ist 34, es geht ihr gut. Ihre Haut zieren gezählte 49 Peckerl, das erste ließ sich die Buchhändlerin 2006 im oberösterreichischen Ohlsdorf stechen. Dort hat es neben dem Thomas Bernhard auch einen Tätowierer gegeben, „der hat ‚Il Papa’ geheißen, weil er Pabst mit Nachnamen hieß, und der war der einzige in der Gegend Vöcklabruck/Gmunden, der überhaupt was hat stechen können und auch von meinem Exfreund den eineiigen Zwillingsbruder von Kopf bis Fuß tätowiert hat – so was siehst du in OÖ auch heute nicht so oft.“ Der Metal-Fan trug damals noch „Vögele-Jeans und Hemden vom Bruder“ und gab Il Papa eine Vorlage – einen Schach-Spinger – , sagte „So!“ Und so hat er es gemacht. „Damals hieß es noch, in der Tinte wäre Autolack drin!“
Dann? „Hab ich vom ‚Papa’ noch zwei venezianische Masken am Rücken: Komödie und Tragödie mit zwei Banderolen, aber die Bedeutungen sind vertauscht, die Komödie weint, die Tragödie lacht. Dann bin ich nach Wien gezogen, und es ist richtig losgegangen.“ Mittlerweile trägt sie eine bunte Kollektion aus den Nadeln von 15 oder 16 Tätowierern, man spricht sich beim Fortgehen an: „He, dein Peckerl ist geil, wer hat das gemacht? Dann schaut man sich den/die mal an. Das war freilich vor Instagram, wo man heute das komplette Portfolio der Tätowierer sieht.“
Die letzten „Drei Schrauben“ sind von einem Oberösterreicher in Wien, der gerade beim Dunkelbuntstudio lernt. Allerdings sind die Schrauben Nägel, aber immerhin mit einer Nut oben. Kann passieren! Von Eigentätowierungen mit Kuli wie im Häf’n rät sie ab: „Naja klar kriegst da eine Blutvergiftung. Aber das kann dir auch einer sagen, der nicht nur drei blaue Murmeln im Schädel hat!“
Helmut ist 39, es geht ihm gut. Ich treffe den Rapid-Fanbetreuer beim Stammtisch des SK Rapid im Wiener Innenstadtlokal Alt Wien in der Bäckerstraße, vor dem zwei große Dosen grünes Werbebier aufgeblasen sind. Drinnen sitzt u.a. Zoran „Zoki“ Barišić am Podium und beantwortet Fragen. „Wir wollen raus zu den Fans“, sagt Helmut.
„Rapid wird gut angenommen in ganz Österreich.“ Das grüne Leichtbier aber, das auch im Stadion ausgeschenkt wird, ist manchem Fan zu leicht. „Es soll der Genuss im Vordergrund stehen“, erklärt Helmut. Und Scheichgeführte Vereine wie PSG z.B. würden im Stadion nur noch alkoholfreie Plörre ausschenken.
Was ist ein Rapid Fan? „Jemand, der sehr begeisterungsfähig ist. Und jeder Rapid-Fan ist gleich. Du gibst deine soziale Herkunft an der Kassa ab. Familien, Wirtschaftstreibende, solche mit schmaler Brieftasche – alle willkommen.“ Auch er war Fan auf der Westtribüne und rutschte um 2000 über das ehrenanmtliche Einbringen in den Verein, „da ist grad der Savićević gekommen, ein Idol von mir, ein Weltstar.“ Heute sollen Eigenbauspieler Identifikation schaffen. „Rapid-Fans erleben ja nicht immer nur Höhen. Wir leiden, wir stehen auf, wir siegen, und dann feiern wir doppelt so stark wie alle anderen. Dann leiden wir wieder. So geht’s immer hin und her. Jetzt hoffen wir natürlich, dass wieder einmal ein Erfolg kommt …“
Bester Rapidler aller Zeiten? „Wahrscheinlich der Bimbo Binder, weil er halt in dieser ganz großen Zeit gespielt hat.“
Beste Rapid-Dress? „Man wünscht sich, dass sie gestreift ist, das ist Tradition. Aber wichtig ist, dass sie grün-weiß ist oder halt auswärts blau-rot, das ist entscheidend. Das soll und wird immer so bleiben.
Jana ist 47, es geht ihr gut. Sie wurde in der ehemaligen Sowjetrepublik Kasachstan geboren und lebte ab 1980 mir ihrer Familie in Almaty in einer Chruschtschowka, eine umgangssprachliche Bezeichnung für meist in den 1960er Jahren errichteten Plattenbauten: „Da gab es ein Programm, dass jeder eine eigene Wohnung bekommen sollte. Sie haben ganz schlechte Häuser gebaut, vier Stockwerke, es rinnt alles von oben nach unten, die Nachbarn von unten klopfen: Wir haben Wasser von Euch! – Ja, wir haben es von oben! Dann klopfst du oben, aber die sperren nicht auf, weil sie genau wissen, worum es geht, usw. Die Wohnung hat, ich darf das gar nicht sagen, 27 m2, es gibt einen Balkon, der abgeknickt ist. Wir lebten dort zu viert, hatten Mäuse und andere Tiere. Meine Mutter wohnt noch immer dort, sie zahlte monatlich 27 Rubel, nach 20 Jahren gehörte sie ihr.“
Die Wohnung liegt im achten Mikroraion der Stadt, einem Schlafbezirk, und mit den Autobussen 35A und 56A fuhr Jana immer alleine zur Schule. Die zentrale Heizung konnte nicht auf- oder abgedreht werden. Im Winter war es daher saukalt, weil die Regierung nicht heizte aus Angst, die Gasvorräte würden zu früh aufgebraucht werden. Das waren sie dann aber nie, also musste im Mai alles verheizt werden, wodurch die Wohnung unerträglich heiß war.
Trotz Armut sparte ihre Mutter so viel Geld, dass sie Jana einen Privatlehrer für Klavier bezahlen konnte. Sie schaffte dann 15jährig die Aufnahme ans Tschaikowsky Konservatorium, einer der noch heute führenden Musikuniversitäten der Welt. „Mir wäre die Welt offen gestanden!“, lacht sie. „Aber dann kam ich nach Wien und wurde Fotografin.“
Ingeborg ist 82. Es geht ihr gut, obwohl (oder weil) sie gerade am Grauen Star operiert wurde: „Die größeren Sachen kann ich schon wieder gut lesen!“ Sie sitzt im Martinssstüberl in 1180 Wien und erzählt, dass sie mit ihren Eltern als Kind oft beim Heurigen war, in Wien, aber auch draußen in Stammersdorf oder Gumpoldskirchen. Sie entstammt einer „Altösterreichischen Familie“, die eng mit dem Meer verbunden war. Oft besuchte sie die Schwestern ihres Vaters in Triest, lernte dort sogar Italienisch, mangels Praxis verlor sie die Sprache aber wieder, ihre Sehnsucht nach dem Meer jedoch blieb.
In Wien besuchte sie die Neue Handelsschule und fand danach „recht gute Jobs“, war 20 Jahre bei Böhringer Mannheim in der Diagnosebranche tätig, organisierte dort Seminare. Nach der Pensionierung begleitete sie eine Freundin, deren erster Mann im Afrika-Feldzug Rommels gefallen war, nach Tunesien, sie wollten sich die Orte des Krieges anschauen. Dort dachte Ingeborg: Hier ist es gar nicht so schlecht für mich! Und kaufte ein Haus in der Nähe von Sousse. „Vor 25 Jahren war das dort noch westlich orientiert. Dann kam die Revolution. Und dann wurde wieder alles ganz anderes. Aber ich komme zurecht.“ Nur dass sie jetzt Französisch, das ihr gar nicht liegt, sprechen muss anstatt ihr geliebtes Italienisch.
In der Wüste trafen sie Zeitzeugen des Krieges, in manchen Häusern fanden sich Fundstücke wie Wasserflaschen der Nazis. Tunesien, sagt sie, war eine gute Entscheidung. „Ich bin ein ruhiger Mensch, liebe die Nähe zur Wüste.“ Was ihr allerdings Sorgen macht: „Ich bin in den Jahres des Krieges aufgewachsen. Und jetzt? Wird die letzten Jahre meines Lebens wieder Krieg sein?“
Walidullah ist 39, es geht ihm so halbwegs. Gerade war er beim Zahnarzt und spürt noch die Schmerzen. Und seit Putin seinen Krieg gegen die Ukraine begann, ist bei ihm im Bio-Laden Liebling in der Porzellangasse in Wien IX noch weniger los, „manche Ware kommt nicht mehr, manche kommt verspätet.“ Gerade räumt er 70 Kilo Erdäpfel ein, die er zweiwöchentlich aus dem Waldviertel bezieht, die verkaufen sich noch gut. Auch das Suppengemüse, der Ziegenweichkäse aus Frankreich, der Bergkäse aus Vorarlberg, das Fleisch von Schober und Höllerschmid, die Mangalica-Spezialitäten vom Thum.
Zuvor hat er in einem Bioladen im 16. Bezirk am Yppenplatz gearbeitet, dort hat er „die Frau Monika kennengelernt, der der Laden gehörte. Sie hat gefragt, ob ich das Geschäft übernehmen will.“ Nun führt er es seit Beginn des ersten Lockdowns, „es ist nicht so einfach. Da drüben ist ein Hofer, dort drüben ein Denn’s, ich muss kämpfen.“
Walidullah hat zwei Brüder, die im Iran leben, und eine Schwester, die mit dem Vater in Holland lebt. Die Mutter ist tot. Er erinnert sich noch an die Russen und Mudschaheddin, die seine Familie zur ersten Flucht nach Pakistan zwangen. Sie kamen zurück, bis 1996 die Taliban erstmals ihr Terroregime etablierten. Sie flohen in den Iran und kamen zurück, als Karsai Präsident wurde. Walidullah machte ein Diplom in Business Administration und floh 2011 wieder in den Iran, um 18 Monate zurück zu kommen. 2013 schaffte er über die Türkei die Flucht nach Griechenland, über den Balkan erreichte er im Dezember 2014 Österreich. Hier wäre es schön, sagt er, aber es ist natürlich nicht seine Heimat, an die er oft mit Wehmut denkt. Irgendwann möchte er zurück.